Direktmandatsorientierte Proporzanpassung

Eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl ohne negative Stimmgewichte.
Gemeinsam mit Dr. Daniel Lübbert, Dipl. Math. Kai-Friederike Oelbermann und Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim. Deutsches Verwaltungsblatt 12/2012 (127. Jg.) 725-730, download von den Seiten des Lehrstuhls für Stochastik und ihre Anwendungen, Universität Augsburg, mit freundlicher Genehmigung des Carl Heymanns Verlags

Alternative 2: Reparatur des Bundestagswahlrechts durch Rückkehr zu Ober- und Unterverteilung mit bundesweitem Saldieren der Direktmandate und Anpassung der Bundestagsgröße an direktmandatsorientierte Mindestsitzzahlen

Lösungsmöglichkeit zur Reparatur der drei am Bundeswahlgesetz in der von 03.12.2011 bis 25.07.2012 geltenden Fassung kritisierten Punkte:

  1. Rückkehr zu Ober- und Unterverteilung mit bundesweitem Saldieren der Direktmandate. Auf Grundlage der Zahl an Direktmandate welche je Partei bundesweit anfallen, werden Mindestsitzzahlen für die Parteien errechnet. Für Parteien mit nur einer Landesliste ist die Mindestsitzzahl gleich der Zahl ihrer Direktmandate, für Parteien mit verbundenen Landeslisten wird die Zahl bundesweiter Direktmandate um 10% erhöht. Dadurch ist sichergestellt, dass Landeslisten allein aufgrund ihrer Zweitstimmen Sitze zugeteilt werden können. Da in die Berechnung der Mindestsitzzahlen nur die Erststimmen einfließen, sind negative Gewichte der Zweitstimmen hierbei ausgeschlossen.
  2. Die Bundestagsgröße wird in einem Anpassungsschritt angehoben, bis sich bei Verteilung nach Sainte-Laguë Proporz zwischen den Parteien einstellt. Da die Landeslisten gleicher Partei hierbei nicht getrennt sind, begegnen die Landeslisten in kleinen Ländern keiner erhöhten natürlichen Sperrklausel.
  3. Die Anpassung der Bundestagsgröße an den Parteiproporz garantiert bundesweite Erfolgswertgleichheit der Zweitstimmen.

Auszug der hierbei zu ändernden Paragraphen, Änderungen in kursiver Schrift:

§ 6 Oberzuteilung an die Parteien auf Bundesebene

(1) [Zuteilungsberechtigung] 1Für die Verteilung der nach den Landeslisten der Parteien zu besetzenden Sitze werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. 2Satz 1 findet auf Parteien nationaler Minderheiten keine Anwendung. 3Nicht berücksichtigt werden die Zweitstimmen derjenigen Wähler, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis erfolgreichen Bewerber abgegeben haben, der nicht von einer nach Satz 1 zu berücksichtigenden Partei vorgeschlagen ist.
(2) [Mindestsitze] 1Für jede Partei wird die Zahl ihrer im Wahlgebiet vorgeschlagenen und erfolgreichen Wahlkreisbewerber als Mindestsitzzahl festgestellt. 2Die Mindestsitzzahlen der Parteien, für die mehrere Landeslisten zugelassen sind, werden um 10 vom Hundert erhöht und zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundet. 3Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden aufgerundet.
(3) [Oberzuteilung] 1Von der Gesamtsitzzahl (§ 1 Abs. 1) wird die Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerber abgezogen, die nicht von einer nach Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigenden Partei vorgeschlagen sind; die verbleibenden Sitze werden wie folgt an die Parteien vergeben. 2Für jede Partei wird die Summe ihrer Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor (Bundesdivisor) geteilt. 3Das gemäß § 7 Abs. 3 zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundete Teilungsergebnis ist die Sitzzahl der Partei. 4Der Zuteilungsdivisor ist gemäß § 7 Abs. 4 so zu bestimmen, dass alle zu vergebenden Sitze zugeteilt werden. 5Erhält eine Partei weniger Sitze, als ihre Mindestsitzzahl vorgibt, wird die Zahl der gemäß Satz 1 zu vergebenden Sitze erhöht, bis bei erneuter Berechnung nach den Sätzen 2 bis 4 jede Partei ihre Mindestsitzzahl erreicht oder übertrifft.
(4) [Mehrheitsklausel] 1Erhält eine Partei, auf die mehr als die Hälfte der zu berücksichtigenden Zweitstimmen entfallen ist, nicht mehr als die Hälfte aller Sitze, werden für sie so viele weitere Sitze geschaffen, bis sie über eine absolute Sitzmehrheit verfügt. 2Eine erneute Berechnung nach Abs. 3 findet nicht statt.

§ 7 Unterzuteilungen an die Landeslisten der Parteien

(1) [Unterzuteilung] 1Die nach § 6 einer Partei zustehenden Sitze werden ihren Landeslisten zugeteilt unter der Maßgabe, dass die Sitzzahl einer Landesliste nicht kleiner ist als die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze. 2Für jede Landesliste wird die Summe ihrer Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor (Parteidivisor) geteilt. 3Das gemäß Abs. 3 zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundete Teilungsergebnis oder, falls größer, die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze ist die Sitzzahl der Landesliste. 4Der Zuteilungsdivisor ist gemäß Abs. 4 so zu bestimmen, dass alle der Partei zustehenden Sitze zugeteilt werden.
(2) [Mandatierung] 1Von der für jede Landesliste so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgerechnet. 2Die restlichen Sitze werden aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. 3Bewerber, die in einem Wahlkreis gewählt sind, bleiben auf der Landesliste unberücksichtigt. 4Entfallen auf eine Landesliste mehr Sitze als Bewerber benannt sind, so bleiben diese Sitze unbesetzt.
(3) [Standardrundung] 1Die Teilungsergebnisse in Abs. 1 und § 6 Abs. 3 werden wie folgt gerundet. 2Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. 3Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Sitzzuteilungen, so entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los.
(4) [Divisorbestimmung] 1Der jeweilige Zuteilungsdivisor in Abs. 1 oder § 6 Abs. 3 wird wie folgt bestimmt. 2Zunächst wird die Gesamtzahl der jeweiligen Zweitstimmen durch die Gesamtzahl der jeweils zu vergebenden Sitze geteilt. 3Werden danach mehr Sitze zugeteilt als zu vergeben sind, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, bis die Zahl der zu vergebenden Sitze erreicht ist; werden zu wenig zugeteilt, ist er entsprechend herunterzusetzen.

Folgeänderungen:
In § 3 Abs. 1 Nr. 2 ist "Abs. 2 Satz 2 bis 7" durch "Abs. 3 Satz 2 bis 4" zu ersetzen.
In § 46 Abs. 2 ist "§ 6 Abs. 4 Satz 3" durch "§ 7 Abs. 2 Satz 3" zu ersetzen.
In § 48 Abs. 1 entfällt Satz 2.

Anmerkungen

Die Mindestsitzzahlen stellen sicher, dass den Parteien mit mehreren Landeslisten neben ihren bundesweiten Direktmandaten auch eine Mindestzahl an Listenmandaten zukommt. Daher hält sich die Verzerrung parteiinternen Proporzes im Rahmen des bisher Akzeptierten.

Alternativ zum 10 Prozent Aufschlag aus § 6 Abs. 2 kommen alternative Rechenvorschriften in Frage. Eine einfache Möglichkeit wäre beispielsweise, allen (bundesweit vertretenen) Parteien 20 Listenmandate zu garantieren. Für den Aufschlag bietet sich dabei die Formel "Zahl der verbundenen Landeslisten plus vier" an, wonach sich auf Grundlage der Stimmabgabe 2009 eine Hausgröße von 660 Abgeordneten einstellen würde (bestimmt durch 192 Sitze für die CDU).

Um die Wirkung des bundesweiten Saldierens der Direktmandate auf den parteiinternen Proporz der Landeslisten weiter zu dämpfen, könnte die Regelzahl der Abgeordneten (§ 1 Abs. 1) im Bundeswahlgesetz angehoben werden. Durch bisher stets anfallende Überhangmandate wurde die Regelgröße von 598 Abgeordneten ohnehin nie eingehalten.

Sitzverteilungen auf Grundlage der Stimmenverhältnisse der Bundestagswahlen 1990 bis 2009

Sitze gemäß direktmandatsorientierter Proporzanpassung
SPD CDU Grüne FDP Linke CSU Summe
Bundestagswahl 1990 238 262 9 79 17 51 656
Bundestagswahl 1994 248 232 49 47 30 50 656
Bundestagswahl 1998 285 198 47 43 36 47 656
Bundestagswahl 2002 247 189 55 47 2 58 598
Bundestagswahl 2005 213 173 51 61 54 46 598
Bundestagswahl 2009 160 190 74 101 83 45 653