Einstimmenwahl mit Länderkontingenten nach Wahlberechtigtenzahlen und bundesweit summierten Sitzresten

Alternative 1: Reparatur des Bundestagswahlrechts mit der Möglichkeit zu Überhangmandaten der Landeslisten

Bei Alternative 1 können mehr als 15 Überhangmandate anfallen, ob der Übergang zu einem Einstimmenwahlrecht und die Verschärfung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 dies rechtfertigen ist ungeklärt.

Lösungsmöglichkeit zur Reparatur der drei am Bundeswahlgesetz in der von 03.12.2011 bis 25.07.2012 geltenden Fassung kritisierten Punkte:

  1. Länderkontingente nach der Zahl der Wahlberechtigten beseitigen alle negativen Stimmgewichte vollständig. Die Mehrheitsregel (§ 6 Abs. 3) entfällt konsequenterweise, da kein bundesweiter Parteiproporz angestrebt ist.
  2. Die Verteilung der 598 Bundestagssitze an die Länder erfolgt nach der Bundes-Hare-Quote (nach Wahlberechtigten), einer Rundung der Ländersitzkontingente auf ganze Zahlen bedarf es nicht. Um dem Grundsatz gleicher Wahl möglichst gut zu entsprechen, wird daher auf Rundung der Zahl der Sitze je Bundesland verzichtet. Jedes Ländersitzkontingent wird gemäß der Landes-Hare-Quote (nach zuteilungsberechtigten Stimmen) an die Landeslisten verteilt, über die Zahl ganzer Sitze anfallende Sitzreste werden bundesweit je Partei aufsummiert und nach größten Sitzresten an ihre Landeslisten vergeben.
  3. Abkehr vom Zweistimmenprinzip und Rückkehr zum Einstimmenprinzip von 1949, die gesetzliche Grundlage für den Zuschnitt der Wahlkreise orientiert sich an den Erfordernissen eines Mehrheitswahlrechts mit Einmandatswahldisktrikten.

Auszug der zu ändernden Paragraphen, Änderungen in kursiver Schrift:

§ 3 Wahlkreiskommission und Wahlkreiseinteilung

Abs. 1 Nr. 3 erhält folgende Fassung:
3. 1Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises soll von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise des Landes nicht um mehr als 10 vom Hundert nach oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr als 15 vom Hundert, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen.

§ 4 Stimmen

Jeder Wähler hat eine Stimme, die sowohl für die Wahl in den Wahlkreisen als auch für die Wahl nach Landeslisten zählt.

§ 6 Wahl nach Landeslisten

(1) [Zuteilungsberechtigung] 1Für die Verteilung der nach den Landeslisten der Parteien zu besetzenden Sitze werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. 2Satz 1 findet auf Parteien nationaler Minderheiten keine Anwendung.
(2) [Länderkontingente] 1Für jedes Land wird die Zahl der am Wahltag im Lande Wahlberechtigten durch die Gesamtzahl der am Wahltag Wahlberechtigten geteilt, und mit der Gesamtsitzzahl (§ 1 Abs. 1) multipliziert. 2Das ungerundete Ergebnis ist die Sitzzahl des Landes.
(3) [Sitzzuteilung] 1Von der nach Abs. 2 ermittelten Sitzzahl des Landes wird die Zahl der im Lande erfolgreichen Wahlkreisbewerber abgezogen, die nicht von einer nach Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigenden Partei vorgeschlagen sind; die verbleibenden Sitze werden wie folgt an die Landeslisten des Landes vergeben. 2Für jede Landesliste wird die Summe ihrer Stimmen durch die Summe der im Lande abgegebenen gültigen Stimmen geteilt, und mit der Zahl zu vergebender Sitze multipliziert. 3 Das zur nächsten ganzen Zahl abgerundete Ergebnis ist die Mindestsitzzahl der Landesliste.
(4) [Unterschiedszahlen] 1In den Wahlkreisen eines Landes errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die Mindestsitzzahl ihrer Landesliste übersteigen. 2Die Gesamtzahl solcher Sitze bildet die Unterschiedszahl dieser Partei.
(5) [Sitzreste] 1Je Partei werden die nach Abs. 3 Sätze 2 und 3 verbleibenden Sitzreste ihrer Landeslisten aufsummiert und zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundet. 2Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden aufgerundet. 3 Ist die sich ergebende Zahl größer als die Unterschiedszahl der Partei, so wird die Differenz beider Zahlen den Landeslisten der Partei in Reihenfolge der größten Sitzreste als weitere Sitze zugeteilt. 4Landeslisten deren Mindestsitzzahl kleiner ihrer in den Wahlkreisen errungenen Sitzzahl ist, werden dabei nicht berücksichtigt.
(6) [Mandatierung] 1Von der für jede Landesliste so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgerechnet. 2Die restlichen Sitze werden aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. 3Bewerber, die in einem Wahlkreis gewählt sind, bleiben auf der Landesliste unberücksichtigt. 4Entfallen auf eine Landesliste mehr Sitze als Bewerber benannt sind, so bleiben diese Sitze unbesetzt.

§ 43 Nachwahl

(1) 1Eine Nachwahl findet statt,
1. wenn in einem Wahlkreis oder in einem Wahlbezirk die Wahl nicht durchgeführt worden ist,
2. wenn ein Wahlkreisbewerber nach der Zulassung des Kreiswahlvorschlages, aber noch vor der Wahl stirbt,
3. wenn ein in einem Wahlkreis gewählter Abgeordneter aus dem Bundestag ausscheidet, und die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes durch Bewerber seiner Partei errungenen Sitze größer der Mindestsitzzahl ihrer Landesliste ist.
(2) 1Die Nachwahl soll im Fall des Absatzes 1 Nr. 1 spätestens drei Wochen nach dem Tag der Hauptwahl stattfinden. 2Im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 kann sie am Tag der Hauptwahl stattfinden. 3Im Fall des Absatzes 1 Nr. 2 und Nr. 3 soll sie spätestens sechs Wochen nach dem Tag der Hauptwahl stattfinden. 4Den Tag der Nachwahl bestimmt der Landeswahlleiter.
(3) 1Die Nachwahl findet nach denselben Vorschriften und auf denselben Grundlagen wie die Hauptwahl statt.
(4) 1Im Fall einer Nachwahl ist das vorläufige Ergebnis der Hauptwahl unmittelbar im Anschluss an die Wahlhandlung der Hauptwahl auf der Grundlage der erfolgten Stimmabgaben zu ermitteln, festzustellen und bekannt zu geben.

Folgeänderungen:
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 erhält folgende Fassung:
1Die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern muß deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen. 2Sie wird ermittelt, indem die Bevölkerungszahl jedes Landes durch einen Zuteilungsdivisor geteilt wird; das zur nächstliegenden ganzen Zahl gerundete Teilungsergebnis ist die Zahl der Wahlkreise des Landes. 3 Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. 4Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der Wahlkreise (§ 1 Abs. 2) eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Zuteilungen, so entscheidet die Wahlkreiskommission. 5Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass so viele Wahlkreise auf die Länder entfallen, wie insgesamt (§ 1 Abs. 2) zu vergeben sind.

Anmerkungen

Die vorgeschlagene Änderung der Abweichungsgrenzen für die Bevölkerungszahlen der Wahlkreise orientiert sich an den Mindeststandards der Venedig-Kommission des Europarats. Ich halte eine Präzisierung von § 3 Absatz 1 Nr. 3 für angebracht, damit die 10% Soll-Abweichung zum Regelfall wird, und die zusätzlichen 5% der Toleranzgrenze nur in Ausnahmefällen beansprucht werden. Des weiteren sollte das Recht des Parlaments, die Wahlkreiskommission zu überstimmen, nach britischem Vorbild eingeschränkt werden.

Beim bundesweiten Summieren der Sitzreste einer Partei (§ 6 Abs. 5) erfolgt die Vergabe der weiteren Sitze primär an Überhanglisten. Erst wenn alle Überhangmandate der Partei kompensiert wurden, wird nach größten Sitzresten auf die Landeslisten verteilt. Dieses etwas umständliche Vorgehen vermeidet negative Stimmgewichte, die auftreten würden, wenn die weiteren Sitze ausschließlich nach Reihenfolge der größten Sitzresten verteilt würden.
Ebenso wäre möglich, nur die Sitzreste der Landeslisten zu summieren, die höchstens so viele Direktmandate wie Mindestsitze erzielt haben, und die weiteren Sitze auch nur unter diesen Landeslisten zu verteilen.

Würde man die bundesweite Sperrklausel durch Sperrklauseln in den Ländern ersetzen, die skizzierte Lösungsmöglichkeit gliche dem Wahlmodus zum 1. Deutschen Bundestag. Das Wahlgebiet wäre größer, in Folge auch die Zahl der Wahlkreise. Verglichen mit dem Wahlrecht von 1949 wäre die Verteilung nach D'Hondt durch eine Verteilung gemäß Landes-Hare-Quoten zusammen mit einer bundesweiten Summierung der Sitzreste geändert. Die Länderkontingente würden nicht mehr nach der Bevölkerungszahl, sondern nach der Zahl der Wahlberechtigten bemessen, in Anlehnung an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlkreiseinteilung. Im Übrigen wäre es das Wahlrecht, mit dem die ersten Vertreter des ganzen Volkes in der BRD gewählt wurden.

Ein Bemessen der Ländersitzkontingente nach Zahl der Wähler würde negative Stimmgewichte hingegen NICHT beseitigen. Da es aufschlussreich ist, möchte ich die Idee dennoch durchspielen, und annehmen, dass im zuvor vorgeschlagenen Gesetzestext "Zahl der am Wahltag Wahlberechtigten" durch "Zahl der Wähler" oder "Zahl der zuteilungsberechtigten Stimmen" ersetzt wird. Um die Unmittelbarkeit der Wahl nicht zu verletzen, dürften ungültige und durch die Sperrklausel betroffene Stimmen nicht gewichtet werden. Die Ländersitzkontingente (§ 6 Abs. 2) würden dabei überflüssig, alle so bemessenen Landes-Hare-Quoten wären identisch! Die Entscheidung für "Zahl der Wähler" oder "Zahl der zuteilungsberechtigten Stimmen" beträfe nur die Gesamtzahl der vergebenen Mandate, bei "Zahl der Wähler" würden für nicht zuteilungsberechtigte Stimmen anfallende Sitzanteile nicht zugeteilt. Das Problem negativer Stimmgewichte wäre dennoch nicht beseitigt, Zweitstimmen für eine Landesliste mit Überhangmandaten könnten eine negative, aber keine positive Wirkung entfalten, blieben bestenfalls unschädlich. Grund ist, dass die nach Zahl der Wähler bemessene Hare-Quote durch zusätzliche Stimmen größer wird. Dabei gehen den Landeslisten ohne Überhangmandate Sitzanteile verloren, ohne dass der Landesliste mit den zusätzlichen Zweitstimmen neue Sitze entstünden.

Sitzverteilungen auf Grundlage der Stimmenverhältnisse der Bundestagswahl 2009

Sitze nach Zweitstimmen
SPD CDU Grüne FDP Linke CSU Summe
ohne Direktmandate 145 173 68 92 78 42 598
Direktmandate wie 2009 145 191 68 92 78 45 619

Simulierte CDU Unterverteilung 2009 allein nach den Zweitstimmen (Vergleich zum 17. Dt. Bundestag):
Schleswig Holstein: 7 Sitze (-1)
Mecklenburg-Vorpommern: 4 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten (+1)
Hamburg: 3 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten
Niedersachsen: 20 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten
Bremen: 1 Sitz
Brandenburg: 5 Sitze
Sachsen Anhalt: 6 Sitze (+1)
Berlin: 5 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten
Nordrhein-Westfalen: 44 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten
Sachsen: 12 Mindestsitze +1 Sitz nach größten Sitzresten (+1)
Hessen: 14 Sitze (-1)
Thüringen: 6 Sitze
Rheinland-Pfalz: 11 Sitze
Baden-Württemberg: 27 Sitze
Saarland: 2 Sitze (-1)

Simulierte CDU Unterverteilung 2009 mit Direktmandaten wie 2009 (Vergleich zum 17. Dt. Bundestag):
Schleswig Holstein: 9
Mecklenburg Vorpommern: 6
Hamburg: 3 (-1)
Niedersachsen: 20 (-1)
Bremen: 1
Sachsen-Anhalt: 6 (+1)
Berlin: 5 (-1)
Nordrhein-Westfalen: 44 (-1)
Sachsen: 16
Hessen: 15
Thüringen: 7
Rheinland-Pfalz: 13
Baden-Württemberg: 37
Saarland: 4
Die Sitzzahlen können nur der ungefähren Einordnung dienen, da nach ZWEITstimmen ermittelte Wahlkreisgewinner nicht den nach ERSTstimmen Ermittelten entsprechen müssen. Die Auswirkung verkleinerter Toleranzgrenzen für die Abweichung der Bevölkerungszahlen der Wahlkreise lässt sich allein anhand der je Wahlkreis abgegebenen Stimmen nicht simulieren.